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Folgeschwangerschaften

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne ...“

Früher – und teils heute noch - wurde vielen frisch verwaisten Müttern geraten, möglichst schnell wieder schwanger zu werden, nachdem die körperliche Gesundheit wieder hergestellt ist. Hintergrund ist immer noch der Irrglaube, dass ein neues Kind das verstorbene ersetzen und so diese schlimme Trauer verkürzen könne. Dieser Hintergedanke lässt die meisten Eltern wütend werden. Zum einen, weil sie natürlich um genau dieses einzigartige Kind trauern, das verstorben ist, zum anderen, weil dadurch ihre Trauer vertröstet wird. Die Eltern bekommen das Gefühl, ihre starke Trauer sei unberechtigt.

Fast jedem Paar stellt sich nach dem Verlust eines Babys irgendwann die Frage, ob und wann es ein weiteres Kind möchte. Manche Mütter haben zunächst panische Angst, noch einmal schwanger zu werden, die anderen können die Wartezeit kaum ertragen. Nach den Erfahrungen der berühmten Hebamme und Autorin Hannah Lothrop ist eine weitere Schwangerschaft am unkompliziertesten, wenn alle Wunden, die körperlichen und die seelischen, verheilt sind.

Wann ist denn der Körper bereit für das kleine Geschwisterchen? Auf diese Frage haben die Fachärzte keine allgemeingültige Antwort. Bei frühen Fehlgeburten ist von „nach der nächsten Regelblutung“ bis „drei Monate“ die Rede. War der Verlust später in der Schwangerschaft hört man ab „drei Monate“ bis „zur vollständigen Rückbildung“, die solange dauern würde, wie auch die Schwangerschaft gedauert hätte. Bei komplizierten Fällen, wie Notkaiserschnitt nach Frühgeburt, wird auch manchmal ein ganzes Jahr Wartezeit verlangt. Die meisten verwaisten Mütter, die möglichst schnell noch einmal schwanger werden möchten, erleben diese aufgezwungene Wartezeit als sehr belastend.

Aber die tiefe seelische Wunde sollte nicht unbeachtet bleiben. Das erste Trauerjahr ist vielleicht kein guter Zeitpunkt, um ein weiteres Kind zu begrüßen. Die Eltern müssen sich erst in der für sie völlig veränderten Welt zurechtfinden, einmal alle Jahreszeiten ohne das verstorbene Baby durchlebt haben. Nicht umsonst spricht man von Trauerarbeit, die ist anstrengend! Außerdem kann auch ein Gewissenskonflikt zwischen der Trauer um das verstorbene und der Freude an dem wachsenden Kind entstehen und starke Gefühlsschwankungen auslösen, die bewältigt werden müssen.

Für eine schnelle Folgeschwangerschaft spricht, dass manche Eltern unter der Hoffnungslosigkeit und der überbordenden Sehnsucht so stark leiden, dass sie ohne ein Kind keinen Sinn mehr in ihrem Leben sehen. Sie brauchen einen Anker, eine Hoffnung darauf, dass die Welt es auch wieder gut mit ihnen meint. Andere wiederum finden, dass dem toten Kind eine angemessene Trauerzeit gebührt.

Es ist eine ganz persönliche Entscheidung, die die Eltern für sich alleine treffen müssen. Wichtig ist, dabei stets vor Augen zu haben, dass die Mutter sich gefestigt genug fühlt, um eventuell nochmalig auftretende Komplikationen oder gar einen weiteren Verlust aushalten zu können. Die Eltern müssen sich bewusst sein, dass sie ihr Herz auf´s Spiel setzen.

Wenn Eltern sich dafür entschieden haben, ein weiteres Kind zu bekommen, sollten sie sich möglichst früh um eine gute körperliche und seelische Unterstützung kümmern. Eine engagierte Hebamme oder ein verständnisvoller Frauenarzt sind bei der Betreuung nicht zu unterschätzen! Sie sollten über die Vorgeschichte aufgeklärt werden und auch bereit sein, sich auf eine evtl. aufwändigere Betreuung der Schwangeren einzulassen. Eine besonders schwierige Zeit ist oft der Zeitpunkt in der Schwangerschaft, an dem das ältere Geschwisterkind gestorben ist. Hier kann es zu psychosomatischen Beschwerden kommen, die durch erfahrene Helfer, die das Phänomen kennen, aufgefangen werden können. Häufigere Kontrollen beim Frauenarzt und eine Telefonnummer für den Notfall wirken Ängsten schon im Vorfeld entgegen und kommen dem großen Absicherungsbedürfnis der Folgeschwangeren entgegen. Oft hangeln sich die Mütter von Kontrolle zu Kontrolle, ihre innere Ruhe reicht meist nicht weiter als bis zum nächsten sehnsüchtig erwarteten Ultraschalltermin, der bestätigt, das das Kind lebt und gesund ist. Wenn es zwischendurch zu starken Angstgefühlen kommt, sollte der Frauenarzt oder die Hebamme immer darauf eingehen und einer Untersuchung außer der Reihe zustimmen. Auch wenn es letztlich leider so ist, dass nahezu alles in Gottes Hand liegt und nicht gesteuert werden kann, so ist die zeitweilige Entlastung der seelischen Anspannung, die unsere moderne Medizin möglich macht, in jedem Fall gut.

In der Schwangerschaft fällt sehr deutlich auf, wie sehr unser Körper mit unserer Psyche verwoben ist – das kann einerseits zu Problemen führen, beinhaltet andererseits aber auch einfache Unterstützungsmöglichkeiten. Tun wir dem Körper Gutes, z. B. in Form von guter Ernährung, leichter Bewegung und Entspannungstechniken wie Yoga oder Atemübungen (sehr effektiv gegen Panikattacken) profitiert davon unsere Seele. Umgekehrt wird der Körper positiv auf das reagieren, was der Seele gut tut; wie etwa sich mit lieben Menschen und Schönem jeder Art zu umgeben oder sich freudig auf das kommende Baby vorzubereiten. Autosuggestion, z. B. innerliche Wiederholung des Satzes „Ich trage mein Kind bis zum Geburtstermin.“, kann auch sehr nützlich sein.

„Der Zauberberg“, von Anika Müller

Letztlich müssen wir lernen zu vertrauen, den Satz „Es geschieht alles so, wie es geschehen wird.“ zuzulassen. „Ich tue, was angemessen und nötig ist, für alles darüber hinaus trage ich keine Verantwortung.“ Lässt man diesen Sinn auf den Grund der Seele sinken, kann er sehr befreiend sein. Denn auch in unserer wissenschaftlichen und kontrollierten Welt können wir nicht alles beherrschen. Die größten Geheimnisse behält das Leben für sich.